Thirteen Images

von Sigrid Adorf (aus dem Katalog "Thirteen Images", 2003)

Thirteen Images nennt Norbert Bauer eine Reihe von dreizehn kleinformatigen, gemalten Bildern, deren rein sachlicher Titel die quantitative Seite der Serie zu benennen scheint, offenbar aber nichts über ihren Inhalt aussagt. Und doch verwies mich der Künstler darauf, dass ihm der englische Titel wichtig sei. Warum?

Anders als der Begriff `Bild´ lässt das Wort `Image´ im deutschen Sprachgebrauch bereits eine Ebene anklingen, die über die reine Abbildungslogik hinaus auf ein Klischee, d.h. auf ein Vorstellungsbild verweist. So bezeichnet das Image einer Person etwa deren Wiedererkennbarkeit – eine fixierte, ihr zugeschriebene Identität, die als bildhaft wahrgenommen wird. Ebenso verhält es sich mit den Bildern dieser Serie. Sie wirken auf eigenartige Weise bekannt und ziehen so in den beunruhigenden Bann eines `Déjà-Vu´.

Aber was ist es, was  wir auf ihnen wiederzuerkennen meinen? Welchen uns scheinbar vertrauten Bildern begegnen wir hier? Zunächst ist es ihre Farbigkeit, die uns an das Colorit der Technicolor-Farbfotogografie der 70er Jahre erinnert. Insbesondere das gedämpfte, gelbstichige Blau des Himmels in einigen Bildern verweist darauf, dass es sich nicht um eine malerische Umsetzung einer natürlichen Vorlage handelt. Zudem sind die Bilder extrem flächig. Die Betonung ihrer Zweidimensionalität zusammen mit ihrem dennoch vorhandenen Realismus in der figurativen Darstellung macht darauf aufmerksam, dass es sich hier um ein realistisches Abbild eines Bildes handelt. Anders als im Fotorealismus der 70er Jahre spielen diese Bilder jedoch nicht mit illusionistischen Effekten, sondern verweisen geradezu aufdringlich auf ihren `Bild als Bild´-Charakter.

In einem aufwendigen Verfahren geht Norbert Bauers Malerei von fotografischen Vorlagen aus, die er Illustrierten oder Zeitungen entnimmt. Er beschränkt sich zumeist auf einen Ausschnitt des Bildes, den er nach formalen, für ihn spannungsreichen Beziehungen der Bildelemente auswählt. Dieser Ausschnitt wird kopiert, durch eine Pause in mosaikartige Farbflächen aufgeteilt, vergrößert, wiederum durch eine Pause auf den Bildträger übertragen und schließlich gemalt. Dabei entsteht ein eigentümlicher `Malen nach Zahlen´-Effekt, der jede Handschrift in Form expressiver Pinselführung negiert. In der Wirkung macht es seine Malerei nüchtern. So nimmt der Prozess zwar einerseits in bester formalistischer Tradition der Moderne eine Reduktion auf das Wesentliche vor, grenzt sich aber andererseits explizit von den heroischen Erzählungen fortschreitender Abstraktion ab, indem er die Expressivität der Geste zugunsten einer “platten” Gegenständlichkeit unterdrückt. Diese Art von Malerei verweigert die tautologische Einfachheit der Reinheitslogik, in der Malerei nur das ist und sein darf, was andere Medien nicht sind (Greenberg) und verunklärt in Folge dessen, was das gemalte Bild wesenhaft von seiner fotografischen Vorlage unterscheidet. Aber nicht, weil der Unterschied geleugnet werden sollte, sondern vielmehr, weil ganz gezielt im Gegensatz zur informellen Malerei eine Art informierte Malerei praktiziert wird, die mit einer Irritation der Überlagerung arbeitet. Die gleichzeitige Ansprache medial verschieden codierter Bildwahrnehmungen, der einer Fotografie, eines gemalten Bildes und schließlich auch, darauf komme ich zurück, der eines Filmes, provoziert eine Verunsicherung des Status von Ding, Bild, Abbild, Einbildung und Bildner. Diese Verunklärung steht im Kontrast zu der scheinbar objektiven, pragmatischen Herangehensweise, die mit einer an wissenschaftliche Methoden erinnernden Stringenz eine analytische Annäherung an ihren Gegenstand anzustreben scheint: Norbert Bauer geht mit seinem Blick nah heran an das Detail und bleibt doch in scheinbar objektiver Distanz. Er stellt einen Teil frei, ordnet ihn mit weiteren Teilen zusammen und schafft damit ein Gespür für den Zusammenhalt einer kategorialen Reihe.

Der Gewohnheit folgend, einen fotografischen Ausschnitt als dokumentierenden Teil eines größeren Ganzen zu betrachten, ist man geneigt, die Serie als einzelne Stills eines Spielfilms zu lesen. Unwillkürlich sucht man nach der Handlung. Tabletten, Sonnenbrille, übergestreifte Handschuhe und nach vorne gestreckte Arme in einer Geste wie beim Pistolengebrauch evozieren ein Verbrechen - den Plot eines Kriminalfilms. Aber die Lücken zwischen den Bildern sind zu groß, als dass sie durch eine fortlaufende Erzählung geschlossen werden könnten. Tatsächlich entstammen die Bilder gänzlich unterschiedlichen Zusammenhängen. Das Unvermögen den Film wirklich zu erinnern, an den man sich erinnert fühlt, aber markiert, dass sein eigentlicher Ort eben gerade das Erinnerungsbild selbst ist. Ein allgemeines Bild, eben ein `Image´, in Form einer flüchtigen Spur, das uns wahllose Fragmente als sinnvolle, kongruente Erzählungen wahrzunehmen ermöglicht. Diese kognitive Leistung zur Verdichtung und Stabilisierung von Wahrnehmungsreizen zu wieder erkennbaren Formen nennen wir Normalität, wenn nicht gar Realität.

Norbert Bauers Art der Reformulierung des Realismus, welcher nun Bilder von Bildern malt, verdeutlicht die unumgängliche mediale Konditionierung der Wahrnehmung. Dabei geht es ihm nicht um die Idee einer authentischen Realität außerhalb des Bildes, sondern im Gegenteil, um die Realität von Bildern, um die nicht anders als in und durch Bilder zu erfahrende Realität. Im Unterschied zu der zum Vergleich herangezogenen wissenschaftlichen Methode der Analyse, die auf eine zunehmende Sinnerklärung zielt, entleert sein analytischer Ansatz. In der Reduktion auf die gerade noch notwendigen Erinnerungsformeln medialer Bildwelten, macht er diese zu leeren Formen, zu leeren Zeichen. Er lauert der mythischen Vereinnahmung von Bildern in der gängigen Reportage- und Werbepraxis auf und kehrt den Prozess um, indem er durch Reduktion öffentlich kursierender Bilder diese entkontextualisiert. In einer Art anwesender Abwesenheit, einer angespannten Leere macht er das Paradox des `Déja-Vu´ spürbar: die beunruhigend vertraute Begegnung mit etwas, das man nachweislich nicht wirklich kennt, die unheimliche Begegnung mit einer schon erlebten Zukunft. Wem oder was also begegnen wir hier? Dreizehn `Images´ die unsere Sinnsuche labyrinthisch auf ihren Ausgangsort zurückführen: die an das Erinnerungsvermögen gebundene Sinnstiftung durch den Betrachter.