Mikrostrukturen des Politischen

Malerei von ZF-Stipendiat Norbert Bauer im Zeppelin-Museum Friedrichshafen

von Harald Ruppert (Südkurier vom 9. Oktober 2007)

Früher blieben politische Ereignisse noch durch Worte im öffentlichen Gedächtnis haften. "Ich habe einen Traum" sprach Martin Luther King; "Ich bin ein Berliner", sagte John F. Kennedy. Inzwischen sind es Bilder, denen diese Bedeutung zukommt. Norbert Bauer, der 19. Stipendiat der ZF-Kulturstiftung, beschäftigt sich in seiner Ausstellung im Zeppelin-Museum Friedrichshafen nun mit der Frage, wie Politik in Bildern stattfindet. Dazu greift er nun aber nicht auf eindeutig politisch belegte Bildikonen zurück, wie etwa die Schleyer-Entführung oder den 11. September. Bauer geht tiefer: In vieldeutigen Bildern erkundet er die Mikrostrukturen des Politischen.

Norbert Bauers Ausstellung trägt den Titel "Aufschlagstelle Luna 2". Dies ist zugleich der Titel eines Dias aus einem sowjetischen Militärarchiv. Es zeigt eine Aufnahme des Mondes mit einem winzigen roten Pfeil darauf. Dieser verweist auf jene Stelle der Mondoberfläche, an der im September 1959 eine sowjetische Sonde aufgeschlagen ist, oder besser: aufgeschlagen sein soll, denn es handelt sich um eine Art "Geisterbild": Es ist die Dokumentation eines nicht dokumentierten Ereignisses; Bilder, welche die Sonde auf dem Mond zeigen, gibt es nicht. Der geisterhafte Charakter des Bildes wird von Norbert Bauer noch potenziert: in der Ausstellung selbst, der es den Namen gibt, ist das Dia gar nicht präsent.

Ebenso wie das besagte Dia verflüchtigt sich die Kunst von Norbert Bauer immer mehr, je dringlicher man ihr Zentrum zu ergründen sucht. Der 1967 in Frankfurt geborene Künstler verwendet Fotos aus Zeitungen, im Internet präsentierte Aufnahmen von Webcams oder Standbilder von Filmen, die er vom Bildschirm abfotografiert hat, und er anonymisiert sie durch Tilgung ihrer ursprünglichen Zusammenhänge - indem er Einzelbilder aus dem Erzählzusammenhang einer Sequenz herausgreift oder Bildunterschriften entfernt. "Politisch", das ist für Bauer weniger ein konkreter Bildinhalt (obwohl er in der Wahl der Motive nicht willkürlich ist), als die mediale Vermittlung von Bildern - denn ist ein Bild von der Vervielfältigung durch die Medien abgeschnitten, kann es keine breite Öffentlichkeit erreichen und damit auch nicht politisch aufgeladen werden.

Aus diesem Grund betont Norbert Bauer die mediale Vermittlung, indem er sie auf die Spitze treibt: Er erzeugt die Vermittlung der Vermittlung, indem er das Bild des Bildes malt. In mehreren Schritten werden die Konturen der ausgewählten Bilder durchgepaust. Auf diese Weise wird auch offensichtlich, was uns sonst mit Blick auf Medienbilder kaum noch bewusst ist: Dass jedes Medium einem Bild seinen Stempel aufdrückt, es in seiner Struktur verändert. Bei Norbert Bauer führt der mediale Arbeitsgang des Durchpausens dazu, dass sich das Bild in Konturen aufteilt, die sich beim Ausmalen schließlich - wie bei "Malen nach Zahlen" - in verschieden getönte Farbinseln verwandeln. Der Durchgang eines Mediums in ein anderes bedeutet immer auch Informationsverlust und -veränderung; so auch bei Norbert Bauer, der beim Pausen Bilddetails verschwinden lässt und Bildausschnitte neu setzt.

Was ist ein Bild? Für massenmediale Bilder eine dringliche Frage, denn über ihre Urheberschaft wissen wir mit letzter Gewissheit nichts zu sagen. Wo wurde ein Bild aufgenommen? Zeigt und erzählt es das, was vorgegeben wird? Ist das Gezeigte inszeniert oder "echt"? Alle diese Unsicherheitsfaktoren, die bereits im besagten Dia "Aufschlagstelle Luna 2" vorhanden sind, summieren sich in Norbert Bauers Malerei und erzeugen eine faszinierende Ungewissheit. Und gerade diese Ungewissheit ist es, die den Betrachter ahnen lässt, dass Bauers Malerei medial vermittelte Bilder zugrunde liegen, denn nur die Medienbilder besitzen diese Aura der Anonymität, die anspielungsreich ein leer bleibendes Zentrum umkreist.

Genau dies nutzt Norbert Bauer zu Verwirrspielen, wie in seinem Bild "Lichter": Zu sehen sind Lichtblitze in einer dunklen Szenerie; man denkt an eine bombardierte Stadt in der Nacht, an die Aufnahmen von Nachtsichtgeräten, wie sie während des Irakkriegs durch die Fernsehnachrichten gingen; auch sie waren von jenen grobkörnigen Streifen durchzogen, die sich in Bauers Malerei zeigen.

Tatsächlich liegen die realen Bezugspunkte anderswo: Ursprung des Bildes war die Aufnahme einer Webcam, welche die nächtliche Uferpromenade von Friedrichshafen zeigt. Bei den Lichtblitzen handelt es sich nicht um Bombeneinschläge, sondern um Beleuchtungsanlagen, deren Reflektionen im Wasser jene an Nachtsichtgeräte erinnernden "Störstreifen" erzeugen. So bestätigt sich, dass ein medial vermitteltes Bild stets mehr sagt als tausend Worte - weil es immer mehr und anderes zeigt, als in ihm enthalten ist.