Die Geister der Fremdheit in der Medienmaschine
Die Malerei des neuen ZF-Stipendiaten Norbert Bauer
von Harald Ruppert (Südkurier, 11. Januar 2007)
Nichts ist so heimatlos wie das Standbild aus einem Film, dessen Handlung man nicht kennt, ein Bild, das durch den Stillstand seine Erzählung verloren hat. Es ist der Verlust des Zusammenhangs, der solche Bilder prägt: Selbst eine banale Szene kann beunruhigend und geheimnisvoll wirken, seine Aura reicht bis hin zu einer unterschwelligen Bedrohlichkeit.
In der Kunst von Norbert Bauer, dem neuen Stipendiaten der ZF-Kulturstiftung, gewinnt das abgegriffene Wort vom "Kopfkino" eine ganz eigene Bedeutung - der Künstler aus Bremen, der seine Arbeit beim morgigen Kunstfreitag im Turm-Atelier des Zeppelin-Museums öffentlich vorstellen wird, ist nämlich ein solcher "Bilder-Anonymisierer". Er stoppt den Film, der durch den Fernseher flimmert, fotografiert einzelne Standbilder ab und macht sie zur Grundlage seiner Malerei. Er unterläuft die geölte Maschinerie medialer Regeln, in denen die Bilderfluten unser Alltagsleben irritationsfrei begleiten. Wo Norbert Bauer eingreift, verliert der Fernsehfilm seine herabschnurrende Geschichte, die gegliedert ist durch Anfang, Mitte und Ende, und das Foto aus der Illustrierten büßt seine Unterschrift ein. Weißes Rauschen tritt auf diese Weise an die Stelle der geordneten, sortierten Medienwelt, die uns bedient und umgarnt - und ein Betrachter, der nun auf seine eigenen vagen Gedankengespinste zurückgeworfen wird. Jeder Sinngehalt, den wir diesen Bildern nun noch eingeben können, bleibt Mutmaßung und damit unbestimmt - beunruhigend unbestimmt wie alles, was keine Auflösung in der Gewissheit findet.
Indem Norbert Bauer die Strömung stoppt, welche die flutenden Medienbilder antreibt, weckt er auch die Geister der Fremdheit, die in der Medienmaschine stecken. Plötzlich merkt man, dass Massenmedien tausendfache optische Welten herstellen, dass damit aber keineswegs auch die Stiftung einer empathischen Beziehung verbunden ist - eher das Gegenteil ist der Fall. Rein kulturpessimistisch braucht man diese Beziehungslosigkeit aber nicht unbedingt zu werten - in der Namenlosigkeit, der Ortlosigkeit der Medienbilder, wie Norbert Bauer sie aufzeigt, liegt auch etwas Geheimnisvolles, das an die mystischen Wirklichkeitsauffassungen archaischer Gesellschaften anknüpft.
Indem Norbert Bauer Medienbilder benutzt, macht er nicht die unmittelbare, sondern die vermittelte Wirklichkeit zu seinem Arbeitsfeld. Dieses Vermittelt-Sein reflektiert sich auch in der Genese seiner Bilder: Was Norbert Bauer schließlich als Malerei auf die Leinwand bringt, ist das Bild des Bildes des Bildes. Mehrfach werden die Konturen der medialen Bilder durchgepaust, durch Zwischenschritte immer weiter vom ursprünglichen Medienbild abgekoppelt.
Darüber hinaus verändert Norbert Bauer das Ausgangsmaterial auf vielfältige Weise: Bildausschnitte werden neu gesetzt, Details weggelassen oder ins Zentrum gesetzt, die Farbwirkung abgedämpft oder noch verstärkt.
Der Betrachter erfasst von alledem zunächst nur eines: Die Wirkung der Bilder, die daraus resultiert. Diese besitzen sie fraglos auch dann, wenn man von den theoretischen Diskursen absieht, die ihre Herstellung mitbestimmten.
Diese Wirkung besteht darin, den Betrachter in einen Warteraum des Unbestimmten zu versetzen. Norbert Bauer ist ein "Beunruhigungskünstler", der das Vertraute ins Unvertraute kippen lässt, und er greift hierfür zu Verfremdungseffekten. Verfremdet ist sein Blick auf eine typische amerikanische Vorortsiedlung: Menschenleer bleiben die gepflegten Bürgersteige mit den ordentlichen Rasenstreifen. Auf der Fotovorlage, die der Künstler benutzte, waren anstelle dieser Leere demonstrierende Menschen zu sehen. Durch Norbert Bauers Eingriff wirkt das gemalte Bild nun regelrecht verwaist. Konventionell betrachtet, hat es seinen Blickfang, seine Bildwürdigkeit verloren, aber paradoxerweise spricht es dennoch zu uns: durch das fremde Wispern des Nichtbestimmten, das in ihm steckt.
Doch auch in anderer Hinsicht irritiert Norbert Bauers Malerei. Bedingt durch sein Pausverfahren setzen sich seine Bilder aus hart konturierten Farbflächen zusammen. Die individuelle Pinselschrift ist getilgt. Trotz der realistischen Motive wirken Norbert Bauers Bilder hochgradig künstlich, gerade so, als ob es sich um "Malen nach Zahlen"-Motive handelte, oder um digitale, computeranimierte Topographien.
Norbert Bauer raubt seinen Bildern einerseits ihre Geschichte, ihre Verortung und ihre (ursprüngliche und eindeutige) Erzählung. Andererseits öffnet er aber auch Assoziationsräume, etwa indem er seinen Bildern Titel gibt: "The House where Punk was born" heißt etwa jenes Bild aus der amerikanischen Vorstadt, von dem soeben die Rede war. Der Künstler hat den ursprünglichen Kontext - demonstrierende Menschen - getilgt und durch die Wahl des Titels den Weg zur Neuzuschreibung geöffnet. Plötzlich spricht aus der banalen Ansicht die Geschichte einer Kindheit, vage und bedeutungsschwanger. Bilder, der Bezeichnung beraubt, sind weit davon entfernt, fixierbare Aussagen zu machen - und indem Norbert Bauer sie nun mit bloß andeutenden und oft aus der Luft gegriffenen Titeln versieht, öffnet er das Verständnis für eben diese Universalität von Bildern. Liegt, grundsätzlich gesprochen, die Botschaft von Bildern also niemals in ihnen selbst, sondern immer nur im jeweiligen geistigen Raster, mit dem man ihnen begegnet? Jedenfalls bringt Norbert Bauer den Betrachter seiner Bilder dazu, die Aufmerksamkeit dem eigenen Raster zuzuwenden, nämlich indem er ihn irritiert. Das Raster wird zur Fußangel und wirft den Betrachter auf sich selbst zurück, wie in jener Reihe von elf kleinformatigen, noch unfertigen Porträts von Geistesgrößen und Prominenten, die im Turmatelier zu sehen ist. Der Fußballer George Best hängt in Nachbarschaft zur Intellektuellen Susan Sontag, der Schriftsteller Stanislaw Lem neben dem Künstler Martin Kippenberger, Punkmusiker Joey Ramone neben dem Philosophen John Rawls. Nur durch zwei Dinge ist dieser heterogenen Reihe miteinander verbunden: Jeder der Porträtierten ist bereits verstorben, und alle Bilder sind nach Fotografien gemalt worden, oft nach Schnappschüssen. Jeder Versuch, im Leben dieser Menschen auf einen gemeinsamen Nenner zu stoßen, wird scheitern, und nicht anders soll es wohl auch sein. Parallel dazu wird hier auch die Tradition des Porträtierens ad absurdum geführt: Was sind das für Porträts, die auf Schnappschüssen von Toten beruhen? Porträts haben schließlich den Anspruch, das Wesen eines Menschen gültig und umfassend darzustellen, und das geht nur, wenn er seinem Maler - leibhaftig und zu Lebzeiten - gegenübersitzt.
Norbert Bauers Porträtpraxis führt vor, wie die Massenmedien solche ultimativen Bilder von (just verstorbenen) Menschen herstellen: Es handelt sich oft um Bilder aus dem Archiv, die gerade greifbar sind. Solche, denen der ultimative Status erst durch die Medien selbst verliehen wird: Durch massenhafte Verbreitung und Wiederholung (man denke an die Bild-"Ikonen" Che Guevara oder Kurt Cobain). Wenn Norbert Bauer diese moderne Form der Monumentalisierung wiederum mit der Porträtpraxis der Malerei kurzschließt, entsteht somit jener ironische Zündfunke, der das Nachdenken über Bilder und Bilderfluten, über Fotografie und Malerei erst möglich macht.